Ist das Timing des Aktienmarktes mit Hilfe des VIX möglich?

Es gibt viele Ansätze, die mithilfe des VIX den Aktienmarkt timen möchten. Auf Twitter oder auf Youtube finden sich viele Beispiele von vielversprechenden Strategien nach denen Anleger ab einem bestimmten Wert des VIX den S&P 500 entweder kaufen bzw. wieder verkaufen sollten.

Beispiele:

  1. Auf Twitter twitterte Charlie Bilello den folgenden Chart dreier Strategien:

Quelle:https://twitter.com/charliebilello/status/1590871880634109952?s=20

 2. Auf Youtube veröffentlichte Mario Lochner folgenden Chart:

Quelle:https://youtu.be/I-muY3SaIzw?t=471

Theorie

Ein weiter Ansatz, nach diesem Vorbild, wäre es im S&P 500 nur dann investiert zu sein, wenn der VIX nicht über einen bestimmten Wert liegt. Die Logik hinter diesem Vorgehen ist so einprägsam wie sie simpel ist. Große Abverkäufe bzw. Crashs erfolgen im Aktienmarkt nur bei einem hohen VIX.

Wenn man sich die großen Markteinbrüche (2000, 2008, 2020) anschaut fällt einem auf, dass der VIX jedes Mal erhöht war. Auch bei kleineren Korrekturen, wie beispielsweise im vergangenen Jahr 2022 oder 2018 war dies der Fall. Ist man also nur bei niedrigen VIX-Werten im Aktienmarkt investiert vermeidet man alle signifikanten Marktrückgänge.

So könnte man nur im S&P 500 investiert sein, wenn der VIX unter 23,12% oder unter 19,63%. Warum genau diese Werte? Unter einem VIX von 23,12% liegen 75% aller betrachten VIX-Werte, seit seiner Veröffentlichung im Jahr 1990. Der Durchschnitt aller VIX-Werte liegt bei 19,63%. In diesem Artikel habe ich die historische Verteilung des VIX graphisch aufbereitet.

Beispiele

Erste Hälfte 2020

Gesamtes Jahr 2022

Einordnung

Viele dieser Ansätze sind scheinbar aussichtsreich. Sie versprechen eine bessere absolute Rendite oder eine bessere risikoadjustierte Rendite. Sie sind jedoch, meiner Meinung nach, nicht erfolgversprechend. Die Strategien entwickeln sich nur in bestimmten Marktphasen besser als der S&P 500 im Buy-and-Hold Ansatz und sind daher für langfristiges Anlegen ungeeignet.

Erste und zweite Hälfte 2020

Gesamter Zeitraum von 1993 bis 2023

Auswertung

Betrachtete man den gesamten Zeitraum fällt einem die schlechtere Wertentwicklung dieser einfachen Timing-Strategien nach dem VIX auf. Sie sind jedoch nicht nur in Bezug auf die absolute Wertentwicklung der Buy-and-Hold Strategie im S&P 500 unterlegen, sondern auch wenn man die erzielte Rendite in Bezug zum eingegangenen Risiko setzt.

 

Buy-and-Hold

Verkaufen, wenn der VIX im obersten Viertel ist

Verkaufen, wenn VIX größer als der Durchschnitt ist

CAGR

5,59%

3,60%

3,16%

Volatilität

18,98%

11,02%

8,62%

Sharpe-Ratio

0,189

0,145

0,135

Maximaler Verlust

-66,82%

-48,44%

-28,58%

Auffällig ist, dass diese VIX-Strategien zwar die Volatilität und den maximalen Verlust deutliche reduzieren, sie tun dies jedoch zu Lasten der Performance. Sie verringern die jährliche Rendite stärker als sie das Risiko, ausgedrückt durch die Volatilität bzw. den maximalen Verlust, senken. Deutlich wird dies in der schlechteren Sharpe-Ratio.

Dieses Ergebnis ändert sich auch nicht, wenn man andere VIX-Werte als Schwelle, ab der man nicht mehr im S&P 500 investiert ist, annimmt.

Gründe

Was sind die Gründe, weshalb sich der Aktienmarkt sich nicht mit Hilfe des VIX timen lässt?

Aus meiner Sicht gibt es vier Punkte an denen diese Timingstrategien scheitern.

Typisches Verhalten des VIX

Zum einen steigt der VIX sprunghaft schnell an, jedoch verweilt er lange Zeit auf diesem erhöhten Niveau, in der der Aktienmarkt (S&P 500) wieder anfängt zu steigen. Diese Strategien verkaufen also „rechtzeitig“ verpassen aber den Wiedereinstieg. Sie können erst wieder in den Aktienmarkt investieren, wenn sich die implizite Volatilität wieder sehr deutlich beruhigt hat und dies kann durchaus Monate, wenn nicht sogar Quartale, dauern.

Die besten und schlechtesten Tage an der Börse

Ein weiterer Grund für die schlechtere absolute, als auch risikogewichtete Rendite, ist das Verpassen der besten Tage am Aktienmarkt. Wir alle kennen die Untersuchung, dass die schlechtesten und die besten Tage zeitlich verdichtet bzw. unmittelbar aufeinander folgend auftreten. Die Tage mit der größten Bewegung im S&P 500 treten allesamt bei einem erhöhten Stand der impliziten Volatilität (VIX) auf. Investiert man also ab einem bestimmten VIX Level nicht mehr verpasst man sowohl die besten als auch schlechtesten Tage.

Aktien können auch im Umfeld eines erhöhten VIX steigen (1996-2000)

Des Weiteren ist es keinesfalls so, dass der S&P 500 fallen muss, wenn der VIX ansteigt oder auf erhöhtem Niveau längere Zeit verweilt. Beispielhaft hierfür sind die Jahre vor dem Dot.com Crash 1996 bis 2000. Der VIX bewegte sich von seinen Tiefstwerten im Jahr 1995 stetig aufwärts und verweilte zwischen 1996 und 2003 in der Spanne von ca. 18,5% bis ca. 40%. Zur gleichen Zeit stieg der S&P500 vom Beginn des Jahres 1996 bis zu seinem Hochpunkt im März 2000 um ca. 150%. Dies ist insofern nicht verwunderlich, da die inverse Korrelation zwischen dem VIX und dem S&P 500 (nur) -0,7 beträgt.

Technische Analyse ist beim VIX nicht anwendbar

Der VIX ist keine Aktien, kein ETF oder ein anderes handelbares Finanzinstrument. Der VIX ist ein nicht handelbarer Index, der von der Cboe alle 15 Sekunden aus Optionspreisen auf den SPX-Future berechnet und veröffentlicht wird.

Technische Analyse beruht darauf Angebot und Nachfrage in Form von u.a. Widerständen und Unterstützungen zu erkennen. Selbst wenn man von der grundsätzlichen Anwendbarkeit von technischer Analyse ausgeht, funktioniert sie beim VIX deswegen nicht, weil der VIX synthetisch berechnet wird und selbst nicht handelbar ist.

Der VIX drückt einzig die von den Marktteilnehmern erwartete Schwankungsbreite aus. Mithilfe des VIX lässt sich die erwartete Schwankungsbreite errechnen. Bei einem VIX von 30 wird eine Schwankung des S&P 500 innerhalb der nächsten 30 Tage von 8,6% erwartet. Nur weil bei einem VIX von 30, oder einem anderem Wert, der Markt in der Vergangenheit einen Boden gefunden hat, hat dies keine Aussagekraft für die Zukunft. Ob der Markt also wieder bei einer erwarteten Schwankungsbreite von 8,6% für die nächsten 30 Tage dreht ist ungewiss.

Mit diesem Rechner kann man die erwartete Schwankungsbreite im S&P 500 mit Hilfe des VIX für jeden beliebigen Zeitraum errechnen.

Fazit

Viele der Timingstrategien, welche den VIX nutzen wollen, um den S&P500 zur richtigen Zeit zu kaufen und zu verkaufen, funktionieren auf lange Sicht schlechter als Buy-and-Hold. Es gibt Marktphasen, insbesondere in Aktienmarktcrashs und Bärenmärkte, in denen eine Strategie nach dem VIX bessere Ergebnisse erzielt hätte. Diese Strategien zeichnen sich dadurch aus, dass sie das Risiko reduzieren, in Form der Volatilität und dem maximalen Verlust, aber, in noch viel höherem Maß, die Rendite mindern.

Abschließend kann man sich selbst die Frage stellen, wenn es so simple wäre, und einfacher als sein Handeln anhand einer Kennzahl auszurichten geht es wohl kaum, außer es an keiner Kennzahl fest zu machen (Buy-and-Hold), warum sollte es zukünftig funktionieren?

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